Hannah Arendt:

Der banale, böse Herr Bürokrat -

und seine sechs  Millionen Toten

 

 

Auch in den Geisteswissenschaften gibt es bahnbrechende Erfindungen - das ist nicht anderes als in den Naturwissenschaften.

 

Mein Kind lebte über viele Jahre glücklich, geliebt, gefördert in einer funktionierenden Familie zweier getrennt lebender Eltern.

 

Plötzlich wurde die Familie - von heute auf morgen - zerschlagen, das Kind musste zur Mutter, durfte den Vater über viele Monate nicht einmal anrufen, geschweige denn sehen. Jeder Mörder - hätte mehr Rechte gehabt.

 

Schlagartig wurde das Kind körperlich und psychisch krank - und ist es bis heute.

 

Mein Kind wurde - Opfer von bürokratischen Strukturen. Die Folgen: Ähnlich jenen von psychischem Missbrauch. Insofern entwickelte ich Anfang 2015 zunächst den Begriff des "Bürokratischen Verbrechens".

 

Als ich zu suchen begann, ob es den Begriff, ein "Copyright" auf den Begriff bereits gibt, stellte ich fest, dass dem nicht so war.

 

Aber: Ich stieß bei der Suche auf Hannah Arendt. Hannah Arendt hatte den Begriff "Bürokratisches Verbrechen" nicht verwandt, aber eine ähnliche Erkenntnis und Wendung gefunden - sie hatte den Holocaust als "Bürokratische Völkervernichtung" bezeichnet.

 

Wie kam es dazu? Wer war - Hannah Arendt?

 

Hannah Arendt war Deutsche, in Königsberg (seit 1945 russisch) geboren, Jüdin, mit Heidegger befreundet, 1941 nach New York ausgewandert.

 

1961 wurde sie von der Zeitschrift "The New Yorker" nach Israel geschickt, um über den Prozess gegen Adolf Eichmann zu berichten. Eichmann war in Berlin als Obersturmbannführer verantwortlich für die Transporte der Juden in die Konzentrationslager. Kurz: Eichmann war - Bürokrat. Eichmann war für Fahrpläne zuständig. Meinend: Judentransporte vom Schreibtisch aus: Stempeln, abheften, fertig.

 

Erwartet wurde von Hannah Arend als Prozessbeobachterin ein Bericht über dieses Monster Eichmann, das am Tod von Millionen mitgewirkt hatte.

 

Doch Arendt beschrieb etwas völlig anderes: Sie beschrieb Eichmann nicht als Monster, sondern als "Hans Wurst", als armseligen Bürokraten, als Nichts. Sie prägte den Begriff der - "Banalität des Bösen".

 

Der Schrecken und das Entsetzen über ihren Bericht waren weltweit. War die Darstellung eines SS-Monsters nicht eine Verharmlosung? Sollten eben nicht Hitlers Schergen sondern kleine Bürokraten eine Vernichtungsmaschinerie zu verantworten haben? Sollte etwa ein kleiner Bürokrat für den Tod von Millionen verantwortlich sein?

 

Entsetzen!

 

Entsetzen? Warum? Steckte vielleicht in vielen von uns - ein Eichmann? War ein Hitler dingfest zu machen, aber nicht ein kleiner, willfähriger Administrator, der um 17:00 Uhr das Büro verließ?

 

Was war die Schuld desjenigen, der sich wie Eichmann im Prozess darauf berief, sich nur brav an Anordnungen von oben, Gesetze und eingespielte Verfahren einzuhalten?

 

Was war - und ist - die Verantwortung des Einzelnen, des kleinen Rädchens, wenn er, wenn es sich nicht mehr auf Befehle, Anordnungen, Regeln berufen konnte - und durfte - sondern das Gewissen befragen musste?

 

Was bedeutete es, wenn Hannah Arendt schrieb "Niemand hat das Recht zu gehorchen"?

 

Die Welt stand Kopf. Man hatte Schuldige, und die heißen Hitler, Himmler, Goebbels und Göring - und nun sollte sich alles in Nichts auflösen?

 

Nicht Hitler, Himmler, Goebbels und Göring waren schuld an der Juden-Vernichtung, sondern ... kleine Bürorkaten, gedankenlose, ordentliche, korrekte oder willfährige Bürokraten?

 

Und was, wenn es nicht einmal eindeutige Anordnungen zu Mord und Judenvernichtung gegeben hatte - erinnert sei parallel an die juristische Schwierigkeiten der ersten Mauerschützen-Prozesse 1990 ff.

 

Die Welt stand Kopf.

 

Nein: Die Welt hatte vorher auf dem Kopf gestanden. Hannah Arend stellte die Welt wieder auf die Füße, auf das, was trägt: auf den Einzelnen, das Fundament, das kleine Rädchen.

 

Die deutsche Rechtsgeschichte nach 1945 ist ohne Hannah Arendt nicht denkbar ...

 

... oh Schock - etwa doch?

 

*

 

Durch Hannah Arendt wußte ich, dass meine Analyse 2015 vom "Bürokratischen Verbrechen" an meinem Kind richtig war. 

 

Gleichwohl blieb ein Unbehagen. Irgend etwas passte bei dem Begriff nicht. Doch was?

 

Im April 2017 erfuhr ich von der Meta-Studie Prinz/Gresser von 2015: Dass die Folgen für Opfer-Kinder bei Amputation von einem lebenden Elter dreimal so schlimm sind wie bei wirklichem Tod eines Elters - gemessen an Indikatioren wie Depression, Bindungsängste, Medikamenten-Missbrauch u.ä.

 

Im Mai 2017 entwickelte ich den Begriff des "Bürokratischen Kindes-Missbrauchs".

 

Nun passt der Begriff, und wird den Folgen der Opfer, wie Verantwortlichen, wie bürokratischen Prozessen, wie Strukturen gerecht: Bürokratischer Kindes-Missbrauch in der Nähe und Abgrenzung zu den anderen Missbrauchs-Arten.

 

Die letzte sprachliche Änderung kam im Oktober 2017. Bei der Frage, wie es kommen konnte, dass nach den Erfahrungen von 1933 erneut unverbrüchliche Grund(!)- und Menschen(!)Rechte aberkannt werden, stellte ich bei der Beschäftigung mit dem Amtsgericht (Bonn) fest, dass dieses Amtsgericht und seine Richter sich nicht als Schuldige, sich nicht als Befürworter an Verbrechen zwischen 1933 und 1945 sahen, sondern ... als Opfer!

 

Mehr noch: In der Eingangshalle des Amtsgerichts (Bonn) wird gefallenen Juristen gedacht - nicht aber den Opfern von NS-Juristen - erinnert sei an Todesurteile, politisch motivierte Urteile gegen Sozialdemokraten, Juden und andere.

 

Und noch mehr: In keinster Weise wird der Lehre aus der Zeit 1933 ff und den unverbrüchlichen Grundrechten gedacht - warum eben Grundrechte vorstaatlich und unverbrüchlich sind.

 

Nun folgte sprachlich der letzte Feinschliff. Anstelle des Begriffs von Bürokratischen Verbrechen formulierte ich nun auch gezielt von Bürokratischen VerbrecheRn.

 

*

 

Bürokratischer Kindes-Missbrauch! Das ist nicht das Ende, das ist der Beginn der Arbeit! Das ist die einzelne, kleine Schraube, die zu lösen ist, um die gewaltige, gigantische, gewalttätige, formalisierte, bürokratische Struktur von Menschenverachtung gegenüber Kindern, Eltern und Familien zum Einsturz zu bringen.

 

Weiter? Siehe Kapitel rechts: Mehr zu Hannah Arendt, mehr zu Raul Hilberg und zu der Frage, wie Gerichte heute mit ihrer Gerichts-Geschichte umgehen.

 

Und welche Lehren Gerichte und Richter (nicht) zu ziehen bereit sind!

 

 

 

Fotonachweis: http://www.timesofisrael.com/hannah-arendts-angst-was-born-in-the-usa-says-author/, 170629